Wann darf ich nach einer Schulterverletzung wieder Sport machen?

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In diesem Artikel wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

Viele Sportler stellen sich nach einer Verletzung bzw. Beschwerden der Schulter die Frage, wann sie wieder in den Sport einsteigen können. Das können Beschwerdebilder wie z.B. eine Schulterinstabilität, Impingement-Syndrom, Werferschulter sein. Zu diesen haben wir auch schon Blogbeiträge für mehr Details und Hintergrundinformationen geschrieben. Zur Beantwortung dieser Frage gibt es einige Dinge, die man wissen und beachten sollte.

Hier erfährst du, was relevant ist, um nach einer Verletzung wieder zu deinem Sport zurückzukehren und wieder voll leistungsfähig zu sein.

1. Welche Einflussfaktoren gibt es auf die Rückkehr zum Sport?

Die Rückkehr eines Sportlers zu einer Wurfsportart beinhaltet hohe Anforderungen an den Sportler. Die Voraussetzungen an Kraft (Belastbarkeit) und Beweglichkeit sollten für eine angemessene Gewebebelastung vorhanden sein. Eine angepasste Progression ist ausschlaggebend, unabhängig davon, ob der Sportler operativ oder konservativ behandelt wurde. Die Reha sollte Beweglichkeit, Kraft und Plyometrie beinhalten, zusätzlich zu einer Wurfprogression mit zunehmender Distanz, Intensität und Volumen (Sgroi & Zajac, 2018). Bei plyometrischen Übungen handelt es sich um dynamische Übungen, bei denen der Muskel gedehnt und daraufhin schnell zusammengezogen wird. Das bedeutet, der Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus wird genutzt. Die Muskeln werden also wie eine Sprungfeder belastet und trainiert.

Neben den oben genannten Faktoren wurde auch noch ein anderer Faktor untersucht. In einer Untersuchung von mehreren Studien mit Teilnehmern, die eine Schulter OP (Open Bankard Repair) aufgrund einer Instabilität hatten, konnten 87% danach wieder Sport treiben und arbeiten. Die Gesamtrate der wiederkehrenden Instabilität, einschließlich Luxation und Subluxation als Komplikation nach OP, betrug 8,5 %. Die Untersuchungen liefen über einen durchschnittlichen Nachbeobachtungszeitraum von 11,5 Jahren, die Teilnehmer waren in über 80% der Fälle männlich, mit einem Durchschnittsalter von 27 Jahren. In einer anderen Untersuchung wurde festgestellt, dass es keine Unterschiede bezogen auf das Geschlecht und die Rückkehr zum Sport nach einer Arthroskopie (Bankard oder Latarjet) gibt  (AlSomali et al., 2021).

In einer Studie wurde der Effekt von Training mit hohen Intensitäten (high load) mit Training mit niedrigeren (low load) auf Funktionseinschränkungen bei Hypermobilität (Überbeweglichkeit) der Schulter verglichen. Vier von fünf Patienten mit einer Hypermobilität haben Symptome im Schultergelenk. Das Trainingsprogramm unter Anleitung, progressiv und mit hohen Belastungen führte zu den größeren selbst eingeschätzten Verbesserungen der Schulterfunktion im Vergleich zum weniger intensiven selbstständigen Training mit geringerer Belastung. Die Schulterfunktion wurde anhand eines Fragebogens von den Teilnehmern selbst beurteilt. Die Untersuchung dauerte 16 Wochen. Zusammenfassend stellte man fest, dass mehr als zwei Drittel der Patienten, die Kräftigungsübungen mit hoher Belastung erhielten, ihre Schulterfunktion verbesserten. 64 % berichteten über eine deutliche Verbesserung der Symptome nach dem Training. Weitere Studien sind erforderlich, um die langfristige Wirksamkeit (über 16 Wochen hinaus) zu bestätigen (Liaghat et al., 2022). Im Blogbeitrag Werferschulter findest du das durchgeführte Training. 

In sechs Untersuchungen kehrten 94% der Kontaktsportathlethen zu ihrer Sportart nach Instabilitäten zurück. Bei Wurfsportarten waren es 88%, bei Baseballspielern alleine waren es 94%. In drei Untersuchungen wurden Wurfsportler mit Nicht-Wurfsportlern, bezogen auf die Return to Sport Rate, verglichen und es konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Die Rehaprotokolle der eingeschlossenen Studien, sowie die Immobilisationszeit nach Schulter OP unterschied sich. Für die Wurfsportler wurde beispielsweise als Kriterium verlangt, dass sie zwei Wochen lang mit voller Geschwindigkeit schmerzfrei werfen können, bevor sie zu ihrer Sportart zurückkehren. In allen Untersuchungen wurde in der Rehabilitation Kraft und Beweglichkeit trainiert. Zusammenfassend kam es zu einer hohen Rückkehr zum Sport und signifikanter Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung (Gouveia et al., 2021).  

2. Wie viel Kraft ist genug? 

Derzeit gibt es nur wenige objektive Marker, die Entscheidungen über die Rückkehr zur Leistungsfähigkeit bei Sportlern nach einer Schulteroperation oder -verletzung unterstützen. Tests für die Stabilität sind beispielsweise der Y-Balance Test für die obere Extremität, der Stabi-Test in geschlossener Kette für die obere Extremität und der Wall-Hop Test. Bei diesen Tests ist die Relevanz für einen Spielsportler oder Wurfsportler zu diskutieren, denn sie testen im Endeffekt nur die Aufgaben des Tests und nicht die spezifische Aufgabe/n auf dem Feld. Gleichzeitig können sie dir einen Eindruck über Beweglichkeit, Kraft oder Explosivität geben. Ein Test Algorithmus wird dir im nächsten Kapitel vorgestellt. Auch der Benefit von zusätzlichen Tests mit Kraftmessplatten wird diskutiert (Ashworth & Cohen, 2018). 

Im Gegensatz zur Unteren Extremität findet man wenig angewendete Krafttests und Kraftanforderungen für die obere Extremität bezüglich der Rückkehr zum Sport. 

Man findet in der Literatur wenig aussagekräftige Daten darüber, welche Kraftwerte ein Überkopfsportler oder Sportler allgemein vor ihrem Wiedereinstieg erreichen sollte. “Symplifaster” beschreiben in Ihrem Blogartikel allgemeine Kraftwerte für Athleten. Ganz links in der Tabelle wird der Mindestwert dargestellt, in der Mitte gute Kraftwerte und rechts überdurchschnittlich gute Werte. 

3. Wann bin ich ready?

Die Frage kann letztendlich nur individuell beantwortet werden. Viele Faktoren wie Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit, die mentale Bereitschaft und vieles mehr spielen eine Rolle. Zur Messbarmachung einiger Faktoren gibt es Tests oder Fragebögen. Die Unfallversicherung für Profisportler VBG zeigt auf Basis ihrer Untersuchungen und der Literatur einen Algorithmus (Testbatterie) von Keller & Kurz (2017), der beschreibt, was Voraussetzungen für bestimmte Aktivitäten sein können. Letztendlich sollte sich die Reha möglichst sportartspezifisch und individuell gestalten. Die Tests testen bestimmte Fähigkeiten, die für deine Sportart relevant sein können. 

Der Algorithmus beschreibt vier Level (siehe Schaubild). 

Abbildung: Return-to-Activity-Algorithmus obere Extremität nach Keller & Kurz 2017

Level 1:

Aktive Anteversion bis 90 Grad & Frontstütz-Test beidarmig

Die aktive Anteversion (Arm nach vorne) bis 90 Grad soll 5x durchgeführt werden können. Ziele sind ein symmetrisches Bewegungsausmaß. Der beidarmige Frontstütz muss ohne Kompensation zum Bestehen 15 Sekunden gehalten werden können, der Therapeut darf einmal korrigieren. 

Level 2:

Aktive Anteversion bis 180 Grad & Frontstütz Test einarmig

Ziel ist wieder ein gleichmäßiges volles Bewegungsausmaß, diesmal bis zum Ende und mit gestrecktem Ellenbogen. Ist dies erfüllt, wird der einarmige Frontstütz-Test durchgeführt. Die Kriterien sind die gleichen wie bei dem beidarmigen. 

Level 3:

Aktive Außenrotation in 90 Grad Abduktion & Y-Balance Test der oberen Extremität

An der Wand stehend wird aus 90 Grad Abduktion, die maximale Außenrotation 5x durchgeführt.

Bei dem Y-Balance Test der oberen Extremität befindet sich der zu testende Arm an der Markierung und der andere bewegt nacheinander in die drei Richtungen des Ys. Der zu Testende befindet sich wieder in der Stützposition. Beurteilt werden die Stützqualität des Stützarms und die Beweglichkeit im Seitenvergleich. Drei Durchgänge werden durchgeführt und es wird mit der nicht-betroffenen Seite gestartet. Der Test ist bei weniger als 10% Seitenunterschied von rechts zu links bestanden. 

Level 4:

Aktive Innenrotation in 90 Grad Abduktion & Wall Hop Test

An der Wand stehend wird aus 90 Grad Abduktion 5x in die maximale Innenrotation bewegt.

Beim Wall- Hop Test befindet sich der zu Testende mit geschlossenen Füßen mit dem Blick zur Wand, streckt seine Arme aus und geht so weit von der Wand zurück, bis nur noch seine Fingerspitzen die Wand berühren. Von hier aus geht er noch zwei weitere Fußlängen zurück. An der Wand befinden sich zwei Linien mit einem Abstand von 30 cm. Der zu Testende stützt mit seiner zu testenden Hand direkt außerhalb neben der Markierung auf der Armseite, die freie Hand ist auf dem Rücken. Der Therapeut fordert auf, die zu testende Hand möglichst schnell abzustoßen und direkt neben der Markierung auf der anderen Seite zu landen, um sich dann erneut für insgesamt 30 Sekunden abzustoßen. Erreichte Kontakte zählen und Fehler werden abgezogen (Berühren der Markierung oder Landen innerhalb). Der Ellenbogen darf gebeugt werden. Ein Seitenunterschied von weniger als 10% gilt als bestanden. Zuerst die nicht betroffene, dann die betroffene Seite. 

Keller & Kurz (2017)

Für Rugby-Spieler wurde ein spezifischer Test, der ASH-Test, entwickelt, um die benötigten Fähigkeiten möglichst sportartnah zu testen. In der Bauchlage werden drei verschiedene Winkel der Abduktion gemessen. Gemessen wird anhand einer Kraftmessplatte die Kraft, Geschwindigkeit und Kraftentwicklung. In allen Testpositionen zeigt der Test eine hohe Reliabilität (Zuverlässigkeit). Der Test wurde speziell entwickelt, um die Langzeitbelastung und die Fähigkeit zur Kraftübertragung über den Schultergürtel während des Armangriffs im Rugby zu replizieren. Der Test setzt die Spieler einer maximalen isometrischen Kontraktion (Anspannung) aus, bei der sie so schnell und so stark wie möglich Kraft aufbringen müssen, vergleichbar mit etablierten Tests der neuromuskulären Funktion in den unteren Gliedmaßen (Ashworth & Cohen, 2018).

Zusammenfassend sollen die Tests Hinweise darauf geben, wie weit der Spieler in der Reha ist und ob er bereit für den Wiedereinstieg in den Sport ist. Außerdem können sie Hinweise darauf geben, welcher Bestandteil der Reha noch fokussiert werden sollte, weil in diesem Bereich noch Probleme bestehen oder ein Test nicht bestanden ist. Er gibt keinen Aufschluss über die Zielbelastungen der einzelnen individuellen Sportart. Daher sollten in der Endphase Bewegungssegmente und Belastungen in der Rehabilitation möglichst nah an der Zielbewegung trainiert werden. Beispiele sind Wurfprogressionen bei Wurfsportlern. 

4. Workout

Schulterverletzungen sind die zweithäufigste Ursache für das Ausscheiden aus dem professionellen Tennissport und machen etwa 4-17 % aller Tennisverletzungen aus (Lin et al., 2018). Im Workout siehst du Ausschnitte aus der Endphase der Reha eines Tennisspielers mit Schulterbeschwerden beim Aufschlag und Schmetterball und schnellen Geschwindigkeiten im Spiel. Die Kraft Basics sind in der Endphase nach wie vor Relevant, dazu kommen dann höhere Geschwindigkeiten und sportartspezifische Übungen.

5. Fazit 

Letztendlich gibt es kein “Reharezept”, welches für jeden Sportler passt. Sportarten, Beschwerdebilder, individuelle Situationen und Kontextfaktoren sind verschieden und daher sollte auch auf alles geachtet und eingegangen werden. Ebenfalls sind die speziellen Anforderungen an verschiedene Sportarten und evtl. auch an Spielerpositionen sehr unterschiedlich und sollten in der Rehabilitation berücksichtigt werden. Kraftwerte und Tests unterstützen die Reha als objektiv messbare Parameter und können Aufschlüsse über die getesteten Faktoren bzw. Fähigkeiten geben. Die Entscheidung, wann der Spieler wieder bereit ist, sollte gemeinsam unter Berücksichtigung vieler Einflussfaktoren getroffen werden. 

Bei Fragen zu deiner persönlichen Situation oder zur Gestaltung deiner Reha und deinem Wiedereinstieg ins Training und in Wettkämpfe, komme gerne auf uns zu. 

Schau auch gerne bei unseren Blogbeiträgen zum Thema Schulter vorbei (Impingement, Werferschulter, Schulterinstabilität). 

Dein Physiotherapeutenteam aus der Karlsruher Oststadt

Quellenangaben:
  1.  AlSomali, K., Kholinne, E., Van Nguyen, T., Cho, C. H., Kwak, J. M., Koh, K. H. & Jeon, I. H. (2021, 1. Oktober). Outcomes and Return to Sport and Work After Open Bankart Repair for Recurrent Shoulder
  2. Ashworth, B. & Cohen, D. D. (2018, 9. November). Force awakens: a new hope for athletic shoulder strength testing. British Journal of Sports Medicine, 53(9), 524–524. https://doi.org/10.1136/bjsports-2018-099457
  3. Keller, M. & Kurz, E. (2017, Juli). Zurück zum Pre Injury Level – der RTA Algorithmus für die obere Extremität manuelletherapie, 21(03), 113–121. https://doi.org/10.1055/s-0043-111165
  4. Liaghat B, Skou ST, Søndergaard J, et alShort-term effectiveness of high-load compared with low-load strengthening exercise on self-reported function in patients with hypermobile shoulders: a randomised controlled trialBritish Journal of Sports Medicine Published Online First: 01 June 2022. doi: 10.1136/bjsports-2021-105223
  5. Lin, D. J., Wong, T. T., & Kazam, J. K. (2018, Februar). Shoulder Injuries in the Overhead-Throwing Athlete: Epidemiology, Mechanisms of Injury, and Imaging Findings. Radiology, 286(2), 370–387. https://doi.org/10.1148/radiol.201717048
  6. Gouveia, K., Kay, J., Memon, M., Simunovic, N., Bedi, A. & Ayeni, O. R. (2021, 11. Mai). Return to Sport After Surgical Management of Posterior Shoulder Instability: A Systematic Review and Meta-analysis. The American Journal of Sports Medicine, 50(3), 845–857. https://doi.org/10.1177/03635465211011161
  7. Sgroi, T. A. & Zajac, J. M. (2018, 15. Februar). Return to Throwing after Shoulder or Elbow Injury. Current Reviews in Musculoskeletal Medicine, 11(1), 12–18. https://doi.org/10.1007/s12178-018-9454-7