
Die Scapula alata, umgangssprachlich auch als Engelsflügel bezeichnet, ist ein Begriff, den die meisten vielleicht schon einmal gehört haben, die wenigsten aber ein klares Bild vor Augen haben, was es denn eigentlich ist. In diesem Blogbeitrag erklären wir Dir, was man unter einer Scapula alata versteht, wo sie herkommt und wie bzw. ob du sie behandeln kannst.
1. Scapula alata – Was ist das eigentlich?
Die Scapula alata ist ein eher selten vorkommendes, flügelartiges Abklappen der Schulterblätter vom Brustkorb. Dabei kann es sowohl nur einseitig als auch beidseitig auftreten. Dieses Abklappen kann zustande kommen, wenn die Muskulatur, die das Schulterblatt am Brustkorb in seiner physiologischen Position hält, ihre Funktion nicht richtig erfüllen kann. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Die häufigste Ursache der Scapula alata ist eine Schädigung der Schultermuskulatur innervierenden (=versorgenden) Nerven, sie kann aber auch durch eine Schwäche der Muskulatur ohne Nervenschädigung, Sportunfälle, Traumata, Operationen und vieles mehr entstehen. Den meisten Betroffenen fällt gar nicht auf, dass sie dieses Symptom haben. Bei anderen kann es aufgrund eines gestörten Skapulothorakalen Rhythmus (gemeinsame Bewegung von Schulterblatt und Schultergelenk) zu einer Einschränkung bei Überkopf-Tätigkeiten oder beim Abspreizen des Arms kommen [1].
Wichtig ist, hier direkt zu erwähnen, dass eine ersichtliche Auffälligkeit im Bereich des Schulterblatts bzw. des Skapulothorakalen Rhythmus nicht zwangsläufig zu einer Problematik im Bewegungsapparat rund um das Schultergelenk führt.
2. Wie entsteht eine Scapula alata?
Um erklären zu können, wie eine Scapula alata überhaupt entsteht, ist es wichtig, erst einmal die Anatomie rund um das Schulterblatt zu kennen:
2.1. Welche Muskeln sind für die Fixierung des Schulterblatts am Brustkorb wichtig?
Zu dieser Muskulatur gehört einmal der M. (= Musculus = Muskel) serratus anterior, welcher sich unterhalb des Schulterblattes zwischen diesem und den Rippen befindet. Durch diese Position hält der Muskel das Schulterblatt von unten fest.
Die Mm. (= Abkürzung für die Mehrzahl von Muskel) Rhomboidei liegen im oberen Drittel des Brustkorbs zwischen den Schulterblättern und der M. Trapezius, bestehend aus drei Anteilen, der das Schulterblatt von kopfwärts, der Mitte und vom unteren Drittel des Rückens kommend fixiert. Hierbei ist vor allem der mittlere Anteil des Muskels von Bedeutung, da dieser vor allem den mittleren Rand des Schulterblattes fixiert.
Allerdings sind alle drei Muskeln wichtig, um den mittleren Rand des Schulterblattes am Brustkorb zu halten und so ein Abkippen zu verhindern. Der M. Trapezius verhindert außerdem, dass das Schulterblatt entlang der Rippen nach vorne gleitet. Fällt einer dieser Muskeln aus, ist es möglich, dass einer der anderen Muskeln diesen Ausfall bis zu einem bestimmten Grad kompensieren kann.
Kommt es zu einer Lähmung der Nerven, welche diese Muskelgruppen innervieren (versorgen), wird das Symptom der “Scapula alata” sichtbar. Der M. serratus anterior ist im Vergleich zu den anderen genannten Muskeln häufiger von Läsionen (= Schädigungen) betroffen, was einen anderen Muskel als Ursache allerdings nicht ausschließt. [2]
2.2. Wie finde ich heraus, welcher Nerv betroffen ist und wie es zu seiner Schädigung kommt?
1) Bei einer Lähmung des M. serratus anterior (Nerv: N. thoracicus longus), kommt es v.a beim Drücken des gestreckten Arms gegen eine Wand in einer abgespreizten Position des Arms über 90°zum Abklappen des Schulterblatts.
Ursachen für die Serratus anterior Läsion sind sehr vielfältig. Sie können traumatisch (nach Unfall, Sturz o.ä.) oder nicht-traumatisch bedingt sein, sie können aber auch ohne erkennbare Ursache entstehen. Die meisten traumabedingten Verletzungen entstehen durch ein plötzliches Eindrücken des Schultergürtels oder Halses, aber auch sich immer wieder wiederholende Bewegungen beim Sport oder Tätigkeiten des täglichen Lebens (Gartenarbeit, Autowaschen und co.), können eine Verletzung des langen Brustnervs hervorrufen. Obwohl der Zusammenhang zwischen einer Lähmung des Serratus anterior und einem Trauma bekannt ist, gibt es keinen Konsens darüber, wie genau ein Trauma den langen Brustnerv verletzt [3], [4].
Ebenfalls gehören virale Infekte, Influenza, Bronchitis, allergische Reaktionen auf Medikamente und eine Überdosis an Medikamenten zu möglichen nicht-traumatischen Ursachen einer Lähmung. Außerdem ist es möglich, dass der Nerv im Rahmen einer Operation, wie z.B. nach einer Brustentnahmen mit Lymphknotenentfernung bei Brustkrebspatientinnen geschädigt werden kann [3], [4]. Grundsätzlich gibt es drei Haupttheorien für die Entstehung einer Serratus Anterior Lähmung, wenn kein anderer Muskel betroffen ist:
Letztere geht mit heftigen Schmerzen, Muskelschwäche bis zur Muskelatrophie einher und hat eine lange Erholungszeit. Eine neuralgische Amyotrophie kann mit Hilfe einer EMG-Untersuchung nachgewiesen werden, aber auch andere Ursachen können dadurch ausgeschlossen werden [5].
Die häufigste Ursache für eine Läsion der Mm. Rhomboidei sind Einklemmungen des N. dorsalis scapulae zwischen der Muskulatur, meist verursacht durch Traumata. Am häufigsten kommt das Einklemmen des Nervs zwischen dem M. scalenius medialis vor. Sollte eine konservative Therapie nicht zu einer Besserung der Symptome führen, werden operative Maßnahmen in Betracht gezogen. Hierbei haben Desong et al. (1995) in einer Untersuchung herausgefunden, dass das Durchtrennen des M.scalenus medialis und anterior zu einer möglichen Verbesserung der Symptome führen kann, wenn zuvor die konservative Therapie gescheitert ist [6]. Diese Durchtrennung der Muskulatur, welche im Verlauf des Nervs liegt, schafft mehr Raum für den Nerv, wodurch dieser weniger komprimiert wird und somit seine Funktion wieder uneingeschränkt ausüben kann. Ein solcher Eingriff wird aber in der Regel als letzte Instanz eingesetzt. Auch die Neurolyse (= die mikrochirurgische Freilegung eines Nerven aus einengenden Bindegewebsstrukturen) im Bereich der Skalenusmuskulatur hat in der Literatur ausgezeichnete Ergebnisse gezeigt. Nath et al. berichteten über 50 Eingriffe, bei denen der Nerv im Bereich des mittleren Skalenusmuskels dekomprimiert wurde, mit einer 98%igen Verbesserung bei Patienten mit Symptomen, die weniger als 10 Jahre andauerten und sich mit konservativer Therapie nicht verbessern ließen [7]. Außerdem kann eine Läsion der Nervenwurzel im Bereich des fünften Halswirbels oder auch eine anteriore (= nach vorne) Schulterluxation ursächlich für diese Läsion sein [4].
3) Ist der M. Trapezius (Nerv: N. accessorius) betroffen, so klappt der mittlere Rand des Schulterblattes ab. Das Abklappen verstärkt sich nicht beim nach vorne oder zur Seite Heben des Arms.
Ursachen hierfür können direkte Traumata im Bereich der Halswirbelsäule sein, wie zum Beispiel bei einem Auto- oder Motorradunfall oder Unfällen mit einer Zug-Komponente des Kopfes (Traktion). Auch Operationen, Wunden oder Infekte im Bereich des Schulter/Nackens und der Halswirbelsäule können eine Beeinträchtigung des Nervs zur Ursache haben. Dabei stellten Donner und Kline et al (1993) fest, dass in 71% der Fälle die Ursache der Nervenläsion iatrogen (= durch ärztliche Einwirkung entstanden) sind und nur 24% traumatisch bedingt sind [7].
4) Eine Scapula alata muss aber nicht aufgrund einer Nervenschädigung entstehen. Es können auch andere Pathologien und Erkrankungen im Bereich des Schultergürtels wie zum Beispiel Erkrankungen der Rotatorenmanschette, Schultergelenkinstabilität und co. das Symptom einer Scapula alata verursachen [8].
Des Weiteren beschreiben manche Autoren auch, dass eine erhöhte muskuläre Spannungen der Muskulatur auf der Vorderseite des Brustkorbs, welche mit dem Schulterblatt in Verbindung steht, dieses so weiter nach vorne ziehen kann. Muskeln, die zur Ursache eines solchen Abklappens gehören, sind z.B. der kleine Brustmuskel (M.pectoralis minor), der kurze Kopf des Armbeugers ( M. biceps brachii caput breve) usw.
Es ist wichtig, bei einem Verdacht einer Scapula alata, auch nach anderen möglichen Pathologien bzw. Ursachen zu suchen, welche für die Symptome verantwortlich sein könnten, da es einige Erkrankungen im Bereich des Schultergürtels gibt, die ähnliche Symptome, wie die einer Scapula alata aufweisen können. Zu diesen gehören Beispielsweise Erkrankungen der Rotatorenmanschette (= muskulärer Komplex, welcher das Schultergelenk sichert), Instabilitäten des Schultergelenks, Erkrankungen der peripheren Nerven in der Halswirbelsäule, Schulterimpingement und vieles mehr [8].
3. Wer ist davon betroffen?
Allgemein gilt die Scapula alata, welche aufgrund einer Serratus anterior Lähmung entsteht, eher als seltene Läsion. Fardin et al. berichteten über eine Inzidenz (Vorkommen) von 15 Fällen bei 7.000 Patienten, die in ihrem elektromyographischen Labor untersucht wurden [9]. Overpeck und Ghormley fanden nur einen Fall von Serratus-anterior-Lähmung bei 38 500 an der Mayo Clinic untersuchten Patienten, während Remak in einer Reihe von 12 000 neurologischen Untersuchungen drei Fälle von Serratus-anterior-Lähmung diagnostizierte [10]. Die Inzidenz einer Scapula alata aufgrund einer Trapeziuslähmung ist selten und schwer zu beurteilen. Da bekannt ist, dass die Möglichkeit einer iatrogenen (“ärztlich verursacht”) Verletzung des Nervus spinalis bei Halsoperationen besteht, wurden neuere Operationstechniken entwickelt, die die Inzidenz von Trapeziuslähmungen seit ihrem Höhepunkt in den 1950er Jahren verringert haben [11].
In der englischsprachigen Literatur gibt es keine veröffentlichten Berichte über das Auftreten von Scapula alata aufgrund einer Rhomboidlähmung. Tatsächlich gibt es nur anekdotische Aussagen, die die Rhomboidlähmung als selten und ihre funktionellen Auswirkungen als noch seltener beschreiben.
Häufig tritt eine Scapula alata nach einer radikalen Mastektomie (= ein- oder beidseitige Entfernung der weiblichen oder männlichen Brustdrüse) bei Brustkrebspatient*innen auf. Dabei kann es während der Operation zu einer Schädigung des langen Brustnervs kommen, da dieser nah an den Bereichen liegt, die während der Operation entfernt bzw. ausgeräumt werden. Laut einer Studie liegt die Wahrscheinlichkeit einer Nervenschädigung bei einer solchen Operation bei 30% [12]. Dies führt dann zu einer gestörten Innervation (Versorgung) des M. Serratus anterior und somit zu einem Abklappen des Schulterblattes nach innen. Auch kann die Scapula Alata nach einer sogenannten Neck Dissection Operation, bei welcher der Bereich des seitlichen Halses aufgrund von Tumoren o.Ä. ausgeräumt wird, zu einer Schädigung N. accessorius kommen. Dies kommt jedoch seit der Entwicklung neuer OP-Techniken in der Regel nicht mehr so häufig vor [7].
In der Vergangenheit wurde in der Literatur in mehr als 50 % der Fälle ein Trauma als Ursache für die Verletzung des langen Thoraxnervs angenommen. Dieses Trauma reicht von einem eindeutigen akuten Trauma mit raschem Einsetzen des Abklappens bis hin zum häufigeren Szenario eines mutmaßlichen repetitiven Traumas durch Aktivitäten wie sich wiederholende berufliche Aufgaben und Sport. Zu diesen Sportarten gehören Bogenschießen, Ballett, Baseball, Basketball, Bodybuilding/Gewichtheben, Bowling, Fußball, Golf, Gymnastik, Hockey, Fußball, Tennis und Ringen [5].
Als Beispiele für Berufe, bei denen das Symptom der Scapula alata auftreten können werden Automechaniker*innen, Marineflieger*innen, Gerüstbauer*innen, Schweißer*innen, Tischler*innen, Arbeiter*innen und Näher*innen arbeiteten genannt. Da die Scapula alata ein eher seltenes Krankheitsbild ist, gehören die aufgezählten möglichen Ursachen im Bereich von Sport und Beruf auch zu eher seltenen Ursachen [5].
4. Ist eine konservative oder operative Therapie besser?
Zur Veranschaulichung der Läsionsarten und wie sich diese äußern, hier eine Tabelle:
Generell wird bei allen drei Formen der Läsion zunächst eine konservative Therapie empfohlen, da sich die Scapula alata in den meisten Fällen spontan zurück entwickelt. Dieser Prozess kann zwischen 1-24 Monaten, teilweise sogar noch länger dauern. Durchschnittlich bilden sich die Symptome bei 21% bis zu 78% der Betroffenen, je nach Autor, in einer Dauer von etwa 72 Monaten ohne operativen Eingriff zurück [13]. Dabei sind leichte Defizite in der Ausdauerfunktion und ein symptomatisches Abklappen des Schulterblatts nicht selten. Die konservative Therapie besteht dabei aus einer medikamentösen Schmerztherapie in der akuten Phase, Dehnung der umliegenden Muskeln (Rhomboiden, Levator scapulae und des Pectoralis minor), um eine Kontraktur (= eine dauerhafte Bewegungs- und Funktionseinschränkung von Gelenken) dieser Muskeln aufgrund des Verlusts der Aktivität des Serratus anterior zu verhindern und anschließend physiotherapeutische Bewegungstherapie, bei welcher der Fokus u.a auf der Kräftigung der Schulterblatt umliegenden Muskulatur liegt [4].
Je nachdem, welche Muskulatur gelähmt ist, unterscheidet sich auch die Therapie etwas. Das Einbinden von Kräftigungsübungen sollte dabei aber erst nach der erfolgreichen Reinnervation (= die Wiederherstellung der nervalen Versorgung nach dem Verlust dieser) des Muskels erfolgen und sich auf alle Muskeln des Schultergürtels beziehen [4]. Sollte es in diesem Zeitraum bzw. die Symptome innerhalb von 2 Jahren sich nicht verbessern, werden operative Eingriffe in Erwägung gezogen [13].
Etwa 25 % der Patienten mit einer Scapula alata, welche zuvor konservativ behandelt wurden, zeigen keine Verbesserung ihrer Symptome und werden somit zu Kandidaten für eine Operation. Zu den operativen Maßnahmen gehören:
Muskeltransferoperationen zeigten bei Patienten mit einer chronischen Denervierung des langen Brustnervs nach einer konservativen Therapie gute bis ausgezeichnete Ergebnisse. Etwa 60 bis 100% der Patienten konnten nach einer solchen Operation die positiven Effekte bis zu 13 Jahre danach halten, wobei viele der Patienten trotzdem noch eine kleine Schwäche der Armabduktion (= Bewegung des Arms zur Seite), trotz signifikanter Verbesserung des Bewegungsausmaßes in diese Richtung (75° Abduktion), aufwiesen [5].
5. Exkurse: Skapulothorakaler Rhythmus und Skapuladyskinesie
Der Skapulothorakale Rhythmus beschreibt die gemeinsame, koordinierte Bewegung des Oberarmknochens, Schulterblatts und Schlüsselbeins. Diese gemeinsame Bewegung ermöglicht es uns, den Arm weit abzuspreizen und nach vorne/oben anheben zu können. Wie groß das Bewegungsausmaß ist, variiert von Person zu Person, daher ist es wichtig, die Bewegung des Arms im Seitenvergleich anzuschauen, um mögliche Veränderungen im Rhythmus erkennen zu können. Dabei sollte sowohl die Bewegung des Arms nach oben als auch nach unten betrachtet werden, um Schwächen der Muskulatur in beiden Bewegungsrichtungen erkennen zu können [14].
Generell spricht man von einem Verhältnis von 2:1 zwischen Oberarmknochen und Schulterblatt. Dies bedeutet, dass sich der Oberarmknochen im Verhältnis zum Schulterblatt ab einem gewissen Punkt doppelt so viel bewegt. Ohne die Bewegung des Schulterblatts und Schlüsselbeinknochen wäre dies allerdings nicht bzw. in einem geringeren Ausmaß möglich [14].
Störungen des Skapulothorakalen Rhythmus bzw. in der Bewegung des Schulterblatts beim Anheben des Arms können neurologisch (= durch Nerven bedingt), knöchern und/oder Weichteil (z.B. Muskel) bedingt sein. Eine solche Störung wird allgemein als Skapuladyskinesie bezeichnet.
Um die klinische Relevanz (Beschreibt, ob die Ergebnisse einer Studie tatsächlich eine Verbesserung der medizinischen Behandlung bewirken können) einer Skapuladyskinesie feststellen zu können, sind drei Schritte wichtig:
1.Festellen, ob eine Skapuladyskinesie besteht oder nicht
Eine Skapuladyskinesie wird festgestellt, indem man die Bewegung des Arms nach vorne/oben und zur Seite/oben testet. Diese Bewegungen werden mehrmals durchgeführt und falls nötig mit etwas Zusatzgewicht erschwert. Während der/die Patient*in die Bewegungen durchführt beobachtet der/die Therapeut*in die Bewegung des Schulterblatts und prüft diese auf Auffälligkeiten oder Abweichungen zum physiologischen Bewegungsmuster. Es wird empfohlen zusätzlich drei spezifische Muskeln hinsichtlich der Schulterblattfunktion zu testen. Zu diesen Muskeln gehören der M. serratus anterior, M. Trapezius (mittlerer Anteil), Mm. Rhomboidei. Eine Schwäche oder unphysiologische (= Abweichung von der Norm) Bewegung des Schulterblatts kann auf eine Schwäche der schulterblattfixierenden Muskulatur hinweisen [15].
2.Feststellen, inwiefern die bestehende Dyskinesie mit den aktuellen Symptomen im Zusammenhang steht
Das Implementieren von spezifischen Testungen während provozierenden Bewegungen kann dabei helfen, zu evaluieren, ob die Skapuladyskinesie in Zusammenhang mit der Schmerzsymptomatik steht und somit auch in Hinblick auf die Rehabilitation wegweisend sein. Zu diesen Testungen gehören der Scapula assistance test, Scapula retraction test und der Low row test. Mit Hilfe dieser Testungen kann beurteilt werden, ob eine Änderungen im Skapulothorakalen Rhythmus, der Kraft der Rotatorenmanschette und die Kraft der Hüft und Rumpfmuskulatur zur Scapuladyskinesie beitragen bzw. zu einer Verbesserung dieser beitragen können. Diese Testungen sind ein Teil der gesamten Untersuchung, sollten also nicht alleinstehend zur Beurteilung der Situation herangezogen werden.
Ein positives Ergebnis eines solchen Tests sollte immer im Kontext betrachtet werden und nicht als einzelstehendes Ergebnis, da nicht jeder positiver Befund Ursache für die aktuelle Problematik sein muss [15].
3.Das Ermitteln von ursächlichen Faktoren
Sollte die Skapuladyskinesie im Zusammenhang mit den klinischen Symptomen stehen, so macht es Sinn, diese in pathoanatomische (z.B Fraktur des Schulterblatts oder Schlüsselbeins, Verletzungen des Schulterdachs, Nervenverletzungen) oder pathophysiologische (z.B muskuläre Dysbalancen, Verspannungen, Schwäche, Hemmung) einzuteilen. Diese Einteilung kann bei der Wahl der Therapie helfen.
Auch die Scapula alata kann ein Grund für einen veränderten Skapulothorakalen Rhythmus sein, und so möglicherweise die Beweglichkeit im Schultergelenk einschränken oder Schmerzen verursachen, muss aber nicht die Ursache dafür sein. Ähnlich wie bei z.B. einer Bandscheibenvorwölbung, welche man durch ein MRT auch als Zufallsbefund feststellen kann, muss die sichtbare Veränderung nicht zwingend der Grund für die Schmerzsymptomatik sein, was bedeutet, dass eine sichtbare Veränderung des Schulterblatts oder Skapulothorakalen Rhythmus im Rückschluss nicht immer mit der Schmerzsymptomatik zusammenhängt [15].
Aber wie kann ich eine Skapuladyskinesie behandeln, wenn sie relevant ist?
In den meisten Fällen zielt die Therapie bei einem positiven Befund einer Skapuladyskinesie auf die Verbesserung der Kraft und Mobilität ab. Allerdings haben diese Therapieansätze bisher nur geringfügige Erfolge in der Verbesserung der Schulterblattbewegung gezeigt [16].
Also was tun, wenn Mobilitäts- und Krafttraining keine Erfolge zeigen? Ein weiterer Ansatz ist das Trainieren der neuromuskulären Kontrolle und koordinativen Fähigkeiten der Schulterblatt fixierenden Muskulatur. Neuromuskuläre Kontrolle setzt sich aus sensorischer Wahrnehmung und Verarbeitung zusammen und beinhaltet das Integrieren von visuellen, vestibulären (Lage-, Stell und Gleichgewichtssinn des Körpers) und sensorischen (Informationen von Sinnesorganen , z.B. Berührungen) Informationen. Die visuelle Komponente in die Therapie einzubeziehen, gestaltet sich aufgrund der Lage des Schulterblatts an der hinteren Brustwand etwas schwierig. Dieses fehlende visuelle Feedback kann zu Bewegungsänderungen beitragen [15].
Insgesamt zeigte sich, dass bewusstes Korrigieren der Schulterblattposition (sog. ”muscle pre-setting), visuelles, akustisches und kinästhetisches Feedback für gute Verbesserungen in der Schulterblattposition sorgen kann. Außerdem wird empfohlen, funktionelle Bewegungen, welche die Aktivität der Schulterblattmuskulatur steigern, durch die synergistische Anspannung (wenn zwei oder mehrere muskeln gleichzeitig anspannen, um eine Bewegung zu unterstützen) der unteren Extremität und des Rumpfes in die Rehabilitation von Skapuladyskinesien mit einzubeziehen [15].
Hierzu ein Beispiel wie der Aufbaus eines Rehabilitationsprogramms aussehen könnte, empfohlen aus der Studie :
→ jeweils 1-2 Sätze mit 5-10 Wiederholungen ohne Zusatzgewicht
Progression (Steigerung):
→ 3-4 Sätze mit dem Ziel bis zu 5-6 Sätze mit 10 Wiederholungen ohne Zusatzgewicht schaffen zu können
→ Zusatzgewichte zunächst mit leichten freien Gewichten etablieren (z.B. 1-2 kg)
→ dann Widerstand mit Theraband
Veränderungen des Skapulothorakalen Rhythmus müssen nicht zwangsläufig zu Schmerzen oder Beschwerden führen. Bei einigen Personen gibt es Auffälligkeiten im Bewegungsapparat rund um das Schultergelenk, welche aber zu keinen Beschwerden bei diesen führen. Bei anderen kann es Auffälligkeiten geben und gleichzeitig eine Schmerzsymptomatik oder Bewegungseinschränkung vorhanden sein. Daher ist es wichtig, mittels einer Untersuchung herauszufinden, woher die Beschwerden tatsächlich kommen, um dann gezielt dagegen vorzugehen.
6. Mögliche Übungen für die Frühe und Mittlere Phase der Rehabilitation
7. Fazit
Die Scapula alata ist eine eher selten vorkommende Erkrankung des Schulterblatts, die bei manchen keine Beschwerden verursacht, bei anderen aber Bewegungseinschränkungen und Schmerzen im Bereich des Schultergelenks und Schultergürtels auslösen kann.
Bevor die sichere Diagnose der Scapula alata gestellt werden kann, ist es wichtig, die betroffene Person gründlich zu untersuchen, um andere mögliche Ursachen und Pathologien ausschließen zu können. Sollte tatsächlich eine Scapula alata vorliegen, bildet sich diese in den meisten Fällen innerhalb der nächsten 1-2 Jahre wieder eigenständig zurück. Dieser Prozess kann dabei über verschiedene therapeutische Maßnahmen begleitet werden. Erst wenn durch eine konservative Therapie keine Besserung eintritt, wird eine operative Therapie in Betracht gezogen, sie ist also erst das Mittel der Wahl, wenn alle anderen Maßnahmen vorher gescheitert sind.
Wenn du Hilfe bei der Therapie von benötigst, kontaktiere uns hier für einen Beratungstermin.
Unsere weiteren Blog-Artikel
[1] T. H. Geurkink u. a., „Treatment of neurogenic scapular winging: a systematic review on outcomes after nonsurgical management and tendon transfer surgery“, J. Shoulder Elbow Surg., Bd. 32, Nr. 2, S. e35–e47, Feb. 2023, doi: 10.1016/j.jse.2022.09.009.
[2] T. Lafosse, A. D’Utruy, B. El Hassan, A. Grandjean, M. Bouyer, und E. Masmejean, „Scapula alata: Diagnosis and treatment by nerve surgery and tendon transfers“, Hand Surg. Rehabil., Bd. 41, S. S44–S53, Feb. 2022, doi: 10.1016/j.hansur.2020.09.016.
[3] M. Vastamäki und L. I. Kauppila, „Etiologic factors in isolated paralysis of the serratus anterior muscle: A report of 197 cases“, J. Shoulder Elbow Surg., Bd. 2, Nr. 5, S. 240–243, Sep. 1993, doi: 10.1016/S1058-2746(09)80082-7.
[4] R. M. Martin und D. E. Fish, „Scapular winging: anatomical review, diagnosis, and treatments“, Curr. Rev. Musculoskelet. Med., Bd. 1, Nr. 1, S. 1–11, März 2008, doi: 10.1007/s12178-007-9000-5.
[5] B. W. T. Gooding, J. M. Geoghegan, W. A. Wallace, und P. A. Manning, „Scapular Winging“, Shoulder Elb., Bd. 6, Nr. 1, S. 4–11, Jan. 2014, doi: 10.1111/sae.12033.
[6] D. Chen, Y. Gu, J. Lao, und L. Chen, „Dorsal scapular nerve compression. Atypical thoracic outlet syndrome“, Chin. Med. J. (Engl.), Bd. 108, Nr. 8, S. 582–585, Aug. 1995.
[7] T. R. Donner und D. G. Kline, „Extracranial Spinal Accessory Nerve Injury“, Neurosurgery, Bd. 32, Nr. 6, S. 907–911, Juni 1993, doi: 10.1227/00006123-199306000-00004.
[8] S. B. Park und J. L. Ramage, „Winging of the Scapula“, in StatPearls, Treasure Island (FL): StatPearls Publishing, 2023. Zugegriffen: 25. Juli 2023. [Online]. Verfügbar unter: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK541005/
[9] P. Fardin, P. Negrin, und R. Dainese, „The isolated paralysis of the serratus anterior muscle: clinical and electromyographical follow-up of 10 cases“, Electromyogr. Clin. Neurophysiol., Bd. 18, Nr. 5, S. 379–386, 1978.
[10] J. R. Gregg u. a., „Serratus anterior paralysis in the young athlete“, J. Bone Joint Surg. Am., Bd. 61, Nr. 6A, S. 825–832, Sep. 1979.
[11] J. M. Wiater und L. U. Bigliani, „Spinal accessory nerve injury“, Clin. Orthop., Nr. 368, S. 5–16, Nov. 1999.
[12] J. M. Wiater und E. L. Flatow, „Long thoracic nerve injury“, Clin. Orthop., Nr. 368, S. 17–27, Nov. 1999.
[13] J. T. Didesch und P. Tang, „Anatomy, Etiology, and Management of Scapular Winging“, J. Hand Surg., Bd. 44, Nr. 4, S. 321–330, Apr. 2019, doi: 10.1016/j.jhsa.2018.08.008.
[14] J. S. Scibek, „Assessment of scapulohumeral rhythm for scapular plane shoulder elevation using a modified digital inclinometer“, World J. Orthop., Bd. 3, Nr. 6, S. 87, 2012, doi: 10.5312/wjo.v3.i6.87.
[15] A. Sciascia und W. B. Kibler, „Current Views of Scapular Dyskinesis and its Possible Clinical Relevance“, Int. J. Sports Phys. Ther., Bd. 17, Nr. 2, Feb. 2022, doi: 10.26603/001c.31727.
[16] D. P. Rosa, J. D. Borstad, L. S. Pogetti, und P. R. Camargo, „Effects of a stretching protocol for the pectoralis minor on muscle length, function, and scapular kinematics in individuals with and without shoulder pain“, J. Hand Ther., Bd. 30, Nr. 1, S. 20–29, Jan. 2017, doi: 10.1016/j.jht.2016.06.006.
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